Höhenmeterhölle im Landschaftsparadies
Es war eine Spontanaktion ohne viel Planung. Emanuel ruft an und fragt: „Sellaronda, fährst Du mit“? Ich sage: „Ja“!!!
Wer Emanuel kennt, weiß natürlich, dass wir nicht nur so eine ganz einfache Runde um den Sella-Stock in den Dolomiten drehen. Es muss schon was Besonderes sein. Rausgesucht hat er sich die Strecke vom Bike-Hero Rennen – dem wohl im Moment härtesten MTB Tagesrennen der Welt. Die Länge der Strecke jagte mir mit 84 km keine Angst ein – die 4700 Höhenmeter schon…
Wer die Dolomiti kennt, weiß, dass die Steigungen dort bretthart sind und die Italiener ordentlich an Kurven gespart haben. Auch wenn man es von der Kraft noch treten kann, dass ständig nach oben hupfende Vorderrad nervt irgendwann. Aber der Reihe nach…
Wir reisen einen Tag vorher an, beziehen unser Quartier in Wolkenstein und gönnen uns ein reichhaltiges Abendessen. Am nächsten Morgen starten wir schon um 7 Uhr, um nicht in Zeitdruck zu geraten. Unsere Vorstellungen wie lange wir für die Strecke brauchen werden, klaffen doch sehr weit auseinander.
Emanuel orientiert sich an der letztjährigen Ergebnisliste, nimmt sich die Zeit des Siegers (zufällig Profi und MTB-Weltmeister Marathon) und rechnet dann – weil wir ja keine Profis sind – großzügig eine Stunde drauf. Ich kann diesen Optimismus nicht ganz teilen und plane eine ausgewachsene Tagestour mit Ankunft am frühen Abend ein. Mit diesen unterschiedlichen Gedanken gehen wir den ersten Pass unserer Rundreise den Dantecepies an. Wir kurbeln uns mit nicht ganz tauglichen Übersetzungen das schwere Gelände hoch. Auf 2300 m ist der Sattel erreicht und wir genießen bei bestem Wetter die Aussicht.
Die Stimmung ist gut und der extra angelegte Singletrail nach Corvara ist schön flowig. Wir gehen die nächste Steigung den Campolongo an und schwitzen ordentlich in der Sonne. Auf der Passhöhe geht es auf einer Hochebene immer wieder rauf und runter. Die Aussicht ist phänomenal und die Dolomiten gelten nicht umsonst als schönstes Gebirge der Welt. Die Abfahrt nach Arraba – naja nix für Trailfans.
Hunger haben wir trotzdem, essen ein trockenes Panino Schinken-Käse und gönnen uns eine Cola dazu. Emanuel wird sogar in seinem eigenen Land abgezockt und muss 17 € für unser kümmerliches Mahl bezahlen.
Es wartet jetzt der absolute Hammer auf uns. Wir müssen knapp 1000 hm am Stück fahren, die so steil sind, dass wir zweimal unser Rad über ein längeres Stück schieben müssen. Ja, ich weiß – absolute Höchststrafe und so etwas gibt man nicht gerne zu, aber für einen Normalbiker mit einem 24 Kettenblatt (2-fach) nicht zu bewältigen.
Kurz vor der Porta Vescova kommen wir auf eine Hochebene auf der sich mehrere Familien von Murmeltieren herumtreiben.
Die Sommersaison fängt erst ab 20 Juni an und somit laufen noch keine Gondeln und Lifte. Für uns optimal, müssen wir uns schon nicht über Wanderer und sonstige Ausflügler ärgern – und die auch nicht über uns :
Auf ca. 2400 Meter biegen wir Richtung Pordoj-Joch ab und fahren immer am Hang entlang bis zur Passhöhe. Das Wetter schlägt leider um und von den Sellatürmen kommt ein Gewitter auf uns zu. Schnell noch ein Bild von den Rädern im Schnell und ab…
Leider ist das Gewitter schneller und gibt uns volle Breitseite. Die Hagelkörner verlagern den Schmerz und lassen uns die immer müder werdenden Beine kurz vergessen. Wir retten uns zum Joch, tanken kurz Wasser und beratschlagen über die weitere Vorgehensweise. Man hat einen guten Rundblick und entsetzt stellen wir fest, dass wir von Gewittern umzingelt sind. Eigentlich müssten wir nach Canazei abfahren und dann noch den Paso Duron bezwingen. Es hat auf 9 Grad abgekühlt und wir sind für derartiges Wetter nicht ganz gerüstet. Emanuel ist jetzt ganz Italiener und friert leise vor sich hin. Wir beschließen über die Straße abzufahren und dann über das Sellajoch nach Wolkenstein abzukürzen. Eine nicht ganz einfache Entscheidung, weil man es in diesem Moment als Niederlage empfindet die Runde nicht ganz zu beenden. Das ausgerechnet bei diesem Duo dann doch die Vernunft gesiegt hat, ist für Kenner der Szene wahrscheinlich schwer zu glauben – aber wahr.
Die Abfahrt ist kalt und nass und wir sind froh als wir wieder dem Sellajoch „entgegentreten“ können. Die herumziehenden Gewitter treiben uns an und die Auffahrt wird nochmal schnell. Endlich am Joch ist die Sicht gleich null und eine schwarze Wand steht direkt vor uns. Plötzlich kommt ein Biker aus dem Nichts von der anderen Seite des Passes. Emanuel fragt den sichtlich gezeichneten Mann nach dem Wetter in der Abfahrt. Dieser antwortet mit weit aufgerissenen Augen und erzählt uns von Sintflut ähnlichen Regenfällen mit Hagel mit denen er zu kämpfen hatte. Wir entschließen uns für einen Cappuccino mit Nusstorte und wollen warten bis sich die Elemente beruhigt haben. Schon wieder vernünftig – werden wir langsam alt? Nein, wir haben alles richtig gemacht, denn eine halbe Stunde später ist der Spuk vorbei und wir können in Ruhe nach Wolkenstein abfahren.
Dort kommen wir nach 71 km und 3750 hm wieder an unserem Hotel an. Wir können noch schnell duschen und unsere Bikes abspritzen, bevor wir wieder die Heimreise nach Feucht antreten. Alles in Allem sicherlich ein völlig unvernünftiger Ausflug, der uns Beiden aber viel Spaß und Erlebnis pur gebracht hat. Ich würde es jederzeit wieder machen….
Bericht: Marcus Rascher